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Wo geht das Abwasser denn jetzt hin?

... so lautete die Frage meiner Enkelin beim Hände waschen. Natürlich hatte ich eine gewisse Vorstellung, doch wollte ich der Sache so richtig auf den Grund gehen. Da kam das Angebot der VHS für eine "Führung durch die Abwasserkanäle Münchens" gerade recht, um mit eigenen Augen zu sehen, was mit unserem Abwasser passiert, wenn es den Kanalanschluss des Hauses verlassen hat.
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Historie

Das System der Münchner Abwasserwirtschaft geht auf Max von Pettenkofer (Arzt und Altmeister der Hygiene) zurück. Auslöser für ihn waren schwere Choleraepidemien im Jahr 1836 und 1854, die zahlreichen Menschen, darunter Königin Therese (Gattin von Ludwig I. von Bayern) das Leben kostete.

Pettenkofer setzte sich zusammen mit Arnold Zenetti dafür ein, dass in den Jahren 1862 bis 1887 ein unterirdisches Kanalsystem entstand und legte damit den Grundstein für eine gesteigerte Volkshygiene.

Er nutzte von Beginn an hochwertige (bis heute erhaltene) Baumaterialien, wie die unter ihm eigens für den Kanalbau hergestellten Hartbrandziegel in Kombination mit der optimalen Zusammensetzung von Zement.

Führung und Besichtigungspunkte

Für die Führung sind dringend unempfindliche Kleidung sowie festes Schuhwerk zu empfehlen (Gummistiefel nicht erforderlich). Da es stets mit Treppen in den Untergrund geht, sind alle Zugänge nicht barrierefrei.

Meine Führung wurde von einem außerorderlich engagierten Mitarbeiter der Münchner Stadtentwässerung mit mehr als 37 Jahren Erfahrung in diesem Job durchgeführt.

Alle ca. 20 Teilnehmer der Führung erhielten eine Einführung in die Geschichte Entwässerungsanlagen, der Technik, der Aufgaben der „Kanaler“ sowie zahlreiche Anekdoten rund um „den tollsten Job der Welt“ (so mindestens seine Einschätzung).

Teilnehmern der Führung muss klar sein, dass in den Kanälen nicht nur Regenwasser fliest und somit mit teilweise starker Geruchsbelastung zu rechnen ist. Deshalb ich mir einfach meine FFP2 Maske aufgesetzt.

1. Station: Akademiestraße/Türkenstraße

Außerhalb der Führung ist der Zugang dieses sogenannten „Fremdeinstieges“ mit unscheinbaren Eisenplatten abgedeckt. Geöffnet geben sie den Zugang zu einer Treppe in einen kleinen „Besichtigungsraum“ frei.

Fremdeinstieg Türkenstraße

Von hier aus erlangten wir eines ersten Blick in die großen Kanalbauten und begannen zu verstehen, wie wichtig eine funktionierende Entwässerung für die Hygiene, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen der Stadt sind. Ein feucht/warmes Klima umgibt den undefinierbaren Geruch nach Abwasser. An den Wänden klebt ein Schleim von Hefepilzen, die sich nach im Abwasser der zahlreichen Brauereien der Stadt befinden. Ungiftig, aber dennoch unappetitlich.

Abwasserkanal

Nach dem ersten Eindruck ging es per eigenem Auto oder U-Bahn (Haltestelle „Universität“ bis Haltestelle „Alter Heide“) zur nächsten Station.

2. Station: Ungererstraße (Parkplatz Nordfriedhof)

Ebenfalls ist dieser „Fremdeinstieg“ mit neuen hydraulisch betätigten Eisenplatten gegen unliebsame Besucher abgesichert.

Nach dem Einstieg eröffnet sich ein beindruckender Blick in die riesige Unterwelt. Tonnengewölbe neben Tonnengewölbe mit mehr als 3 Metern Durchmesser eröffnen einen Zugang zur Friedhofsunterwelt. Groß genug, um auch mit einem Auto einfahren zu können – denke ich.

Abwasserkanal

Abwasserkanal

Hierbei handelt es sich um ein Scheidwerk, um bei übermäßigem Regenfall, das überschüssige Wasser in einen Seitenkanal zu leiten.

Wir erfuhren, dass in diesen riesen Gewölben schon zahlreiche Folgen des „Tatort“ oder „Derrik“ gedreht wurden. Für den Herbst hat sich ein amerikanisches Drehteam angekündigt, die hier einen Horrorfilm drehen wollen.

3. Station: Schenkendorfstraße

Nach kurzem Fußweg erreichten wir die letzte Station unserer Führung. Unscheinbar hinter Schulen und Kindergarten versteckt befindet sich unter einem großen Sport- und Spielplatz ein unterirdisches großes Bauwerk. Die Dimensionen konnte man erahnen, wenn man seinen Blick auf die aus der Erde herausragen Metallröhren (mit Deckel) richtete.

Nach einer Tür in einem Versorgungsgebäude eröffnete sich eine kleine Wendeltreppe in die Tiefe. Gut, dass diese ein Geländer zum festhalten hat.

Nach wenigen Metern (vergleichbar dem Sperrengeschoss am Marienplatz oder Stachus) mit verschlossenen Zugängen zu Versorgungsräumen und Blick auf riesige Überlaufwehre aus Stahl, geht es weiter in die Tiefe.

Hier war alles glitschig und ich mochte das Geländer deshalb nicht anfassen. Obwohl es zunächst stockfinster war, eröffnete sich nach einem kurzen „Licht an“ der Blick auf die spärlich beleuchtete „Alhambra“ unter der Heide.

Rückhaltebecken

Wir staunten über die gigantische Pfeilerhalle mit gigantischen Säulenhalle. Ein Rückstaubecken mit der Größe von zwei Fußballfeldern kann bei starkem Regenfall innerhalb von 12 Minuten ca. 20.000 Kubikmeter Wasser aufnehmen. Um die Kläranlage im Norden nicht zu „überschwemmen“, und dadurch deren Betrieb zu gefährden, können deren Mitarbeiter die Überlaufwehre fernsteuern.

Technik und Fakten

Durch die Erläuterungen des Guide sowie nachträgliche Recherche wurde mir klar, was es bedeutet, ein riesiges Netzwerk von Kanälen für Haushalte, Industrie und Straßenentwässerung der Stadt und des nahem Umlandes zu betreiben.

Das Abwassersystem Münchens

Das Gesamtnetz der Münchner Stadtentwässerung nimmt das Abwasser aus den Haushalten, den Gewerbe- und Industriebetrieben der Stadt und aus den angeschlossenen 22 Regionsgemeinden auf. Hierfür werden seit ca. 150 Jahren nunmehr ca. 2.500 km Kanalnetz betrieben.

Die Kanäle führen das Abwasser zu den beiden Kläranlagen Großlappen (gegenüber der Allianz Arena) und Gut Marienhof in Dietersheim jeweils im Norden der Stadt. Dort wird es gereinigt und geklärt, bevor es mit einer Sauberkeit von über 99% über verschiedene oberirdische Seitenkanäle in die Isar geleitet wird.

Das Wasser durchläuft das gesamte Netz ohne Pumpen, da es ein stetiges natürliches Gefälle (mit ca. 90 Metern innerhalb des Stadtgebietes) hat.

Bei Regen kann die Wassermenge in kurzer Zeit rasant ansteigen. Hierfür eine erste große Rückhalteanlage 1973 am Oberwiesenfeld errichtet. Mittlerweile gibt es 5 Rückhalteanlagen (Hirschgarten, Oberwiesenfeld, Schenkendorfstr., Leinthaler Brücke, Gyßlingstr.) mit einem Fassungsvermögen von insgesamt ca. 700.000 Kubikmetern (genug, um die Allianz Arena mit einer Wassersäule von 70 Metern zu begraben).

Sicherheit

Für Kanalarbeiter ist die Arbeit „unter Tage“ nicht ganz ungefährlich. Neben der Rutschgefahr durch Schlamm und Unrat waten sie oft knietief (oder noch tiefer) durch die Kanäle, um sie zu überprüfen, zu reinigen oder zu reparieren. Hierbei besteht stets Sturzgefahr sowie Erstickungsgefahr durch verschiedene Gase.

Darum stets die persönliche Sicherheit eines jeden Arbeiters an erster Stelle. Die PSA („persönliche Schutzausrüstung“) besteht aus

  • Arbeitskleidung
  • Helm
  • Leuchte
  • autom. Warngerät für Gas

Der wohl wichtigster Teil des Sicherheitskonzeptes ist der „dritte Mann“, der stets oben am Einstieg wartet. In regelmäßigen Abständen nimmt er Kontakt zu seinen Kollegen im Schacht auf und kann dieser bei Wetterumschwung sofort alarmieren und im Bedarfsfall schnell Hilfe leisten oder holen.

Schließlich sind manche Siele so eng, dass sich Arbeiter in diesen nicht umdrehen können, sondern wieder rückwärts hinaus müssen.

Aufgaben der Kanaler

Um einen reibungslosen Betrieb des Netzes zu gewährleisten, sind hunderte von Arbeitern ständig mit der Überprüfung, Reinigung und Reparatur beschäftigt.

Je nach Aufgabenstellung und Beschaffenheit der Kanalbauten werden diese manuell oder maschinell geprüft oder gereinigt. Von Spülwagen aus wegen mit Hochdruck Reinigungsgeräte durch den Kanaleinlass der Straßen z.B. in die verstopften Hausanschlüsse geschickt.

Kanalkameras lassen rechtzeitig durchgewachsene Baumwurzeln, Ablagerungen oder andere Bauwerksbeschädigungen im letzten Winkel erkennen, noch bevor eine Störung auftritt.

Mein Fazit

Ich weiß nun den großen Aufwand zum Betrieb eines Abwassersystems einzuschätzen und bringe einem „Kanaler“ nun wesentlich mehr Respekt entgegen. Da ich nunmehr weiß, dass irgend jemand stets „den Dreck wegmachen“ muss, erkläre ich der Familie und den Kindern viel eindringlicher, dass
  • Fett
  • Speisenreste
  • Feuchttücher (z.B. von Kleinkindern)
  • Windeln
  • Küchenrolle
  • Medikamente
  • u.v.m.
NICHT in die Toilette gehören, sondern anderen Entsorgungswegen zuzuführen sind. Weiterführende Infos kann auch hier, auf der Seite der Stadtentwässerung finden:
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